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Geschichte der Blutegeltherapie


Anfänge bis 18. Jahrhundert

Die Blutegeltherapie ist eine sehr alte Heilmethode. Es gibt Hinweise, dass schon in der Steinzeit Menschen auf diese Weise behandelt wurden. Heute noch werden Blutegel bei vielen Naturvölkern zur Heilung von Krankheiten eingesetzt.

Aber nicht nur bei primitiven, sondern auch bei kulturell höher entwickelten Völkern wurde die Blutegeltherapie angewendet. So findet man den Nachweis für ihre Verwendung in den Keilschriften der Babylonier und in archäologischem Gut aus der 18. Dynastie (1567 – 1308 v. Chr.) in Ägypten. In Indien wird die Blutegeltherapie schon in den Sanskrit-Schriften erwähnt. Dort war sie ein so beliebtes Heilverfahren, dass es bereits im 5. Jhr. v. Chr. Blutegelzüchtereien gab. Etwa ab dem 2. Jhr. v. Chr. wurde der Blutegel in China und Japan gebraucht. Allerdings war dort nicht das Ansetzen von Blutegeln das übliche Verfahren, sondern der Gebrauch von Blutegelsubstanz und -pulver.

Hippokrates mit Klistierspritze und
Blutegelglas

(Karikatur von Daumier, 1859)

In der europäischen Literatur findet sich die erste Angabe zum therapeutischen Einsatz von Blutegeln bei Nikander von Kolophon (ca. 200 – 300 v. Chr.). Er setzte Blutegel zur lokalen Blutentziehung bei Vergiftungen durch den Biß giftiger Tiere ein. Jedoch wirklich bedeutend wurde die Blutegeltherapie erst durch Themison von Laodikeia (1. Jhr. v. Chr.), der sie bei allen Krankheiten, die er dem „status strictus“ (z.B. fieberhafte Allgemeinerkrankungen, chronischer Kopfschmerz, Arthritis) zuordnete, für indiziert hielt.

Behandlung eines Königs

Behandlung eines Königs mit Blutegeln.

(Miniatur aus Boccaccio, Giovanni: Il Decamerone, 1353.)

In den folgenden Jahrhunderten breitete sich die Blutegeltherapie aus. Über Griechenland hinaus wurde sie im Römischen Reich, der arabischen Welt und später auch in Byzanz gleichermaßen eingesetzt. Die Blutegeltherapie wurde eine allgemein anerkannte und vielseitig genutzte Heilmethode. Sie gehörte zum volksmedizinischen Gut. Berühmte Ärzte ihrer Zeit waren Anhänger dieses Verfahrens.

Titelblatt des ersten Buches, das ausschließlich
der Blutegeltherapie gewidmet wurde

(aus Heunius, Johannes: De Hirudinum usu & efficacia in medicina tractatus, 1652)

So auch Plinius (23 – 79 n. Chr.), Galen (129 – 199 n. Chr. ), Antyllos (um 140 n. Chr.), Oreibacios (325 bis Beginn des 5. Jahrhunderts), Paulus von Aegina (1. Hälfte des 7. Jahrhunderts), Avicenna (980 – 1037), Arnald von Villanova (1235 – 1312), Ambroise Paré (1510 – 1590), Leonardo Botalli (Mitte 16. Jahrhundert), Luiz de Mercado (1520 – 1600), Abraham Zacuto (1575 – 1642). In Deutschland wurde die Blutegeltherapie erst in der zweiten Hälfte des 16. Jhr. bekannt. Zu dieser Zeit war Italien das Zentrum der Blutegeltherapie.

Zur Blutstillung verwendete man im 16. Jahrhundert ölgetränkte Wolle, Leinwand, Spinnweben mit Essig, Galläpfel, Weihrauch oder Mehl. Heute wird selbstverständlich bei Bedarf ein Druckverband angelegt, der allen hygienischen Ansprüchen genügt.

(aus Pukownik, Peter, Blutegel-Therapie, den Körper entgiften, Archiv für Kunst und Geschichte, Südwest Verlag GmbH, 1995, ISBN 3-517-01656-X)

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19. Jahrhundert

In den vorangegangenen 2000 Jahren stand die Blutegeltherapie gleichberechtigt neben Aderlaß und Schröpfen. Auch das Anwendungsgebiet blieb relativ konstant. Dies änderte sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Mit Blutegeln wurde in zunehmendem Maße behandelt. Aufgrund der modernen Ansichten der Krankheitsentstehung waren Blutegel bei jeder Krankheit als Heilmittel indiziert. Sie wurden in ungeheuren Mengen angesetzt. Es wurden bis 100 Blutegel pro Krankheit verwendet!

In Frankreich stieg die Blutegeleinfuhr zwischen 1827 und 1850 von 33,6 Millionen auf 100 Millionen Blutegel pro Jahr an. Doch der „Vampyrismus“, wie man diese Entwicklung bezeichnete, blieb nicht auf Frankreich beschränkt. Er breitete sich über Europa und sogar viele außereuropäische Länder, unter anderem auch die USA, aus. Blutegel waren die wichtigste medizinische Handelsware.

Dieser enorme Verbrauch von Blutegeln und die zunehmende Zerstörung der Lebensräume durch die Industrialisierung verringerte die natürlichen Bestände der Blutegel rapide. Es gab Gegenden in Deutschland, in denen lebten Menschen ärmerer Klassen ausschließlich vom Blutegelfang. Schon in den 30er Jahren des 19. Jhr. waren die Blutegel in Deutschland fast ausgerottet. Mitte des 19. Jhr. mußten die Tiere aus Ägypten, Syrien, der Türkei, Rußland und Zentralasien importiert werden. Überall in Europa entstanden Zuchtanlagen.

Blutegel als Ärzte

(Karikatur von Grandville, 1829)

Ab Mitte des 19. Jhr. kamen die Organpathologie von Virchow und Kenntnisse der Bakteriologie und Asepsis auf. Dies führte zu einem deutlich rückläufigen Verbrauch an Blutegeln. Die Blutegeltherapie verlor mehr und mehr an Bedeutung. Sie wurde völlig aus der wissenschaftlichen Medizin verdrängt und nur noch in der Volksmedizin und Naturheilkunde angewendet. Trotzdem importierte Frankreich noch Ende des 19. Jhr. etwa 16 Millionen Blutegel pro Jahr, ebenso viele England. Der Verbrauch in Deutschland betrug immer noch 25 Millionen Tiere pro Jahr und der Export in außereuropäische Länder von Hamburg aus 30 Millionen Egel pro Jahr.

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20. Jahrhundert

Bis in die zwanziger Jahre unseres Jahrhunderts blieb es ruhig um die Blutegeltherapie. Dann erschienen in Frankreich erste Berichte über Therapieerfolge mit Blutegeln bei der Behandlung der Thrombose und Thrombophlebitis (Termier, 1922). Diesem folgten weltweit weitere Veröffentlichungen über den Einsatz von Blutegeln. Es kam zu einer Renaissance dieses uralten Heilverfahrens. Blutegel wurden wieder bei den verschiedensten Indikationen eingesetzt.

Stark gefördert wurde die Blutegeltherapie durch Bernhard Aschner. Aufgrund seiner Lehre der Konstitutionstherapie gab es eine Fülle von Indikationen. Durch den Frankfurter Arzt Heinz Bottenberg wurde die Blutegeltherapie weltweit verbreitet. Sein Buch „Die Blutegeltherapie“ (1935) ist heute noch eine Standardwerk auf diesem Gebiet. Darin beschreibt er die örtliche und allgemeine Wirkung von Blutegeln. Seinen Erkenntnissen nach ist die Blutegelwirkung lokal gerinnungshemmend, lymphstrombeschleunigend, antithrombotisch, immunisierend, schmerzstillend und gefäßkrampflösend. Dazu kommt noch die allgemein erleichternde, blutreinigende und entgiftende, entzündungshemmende, krampflösende und beruhigende, aufsaugende und immunisierende Wirkung.

Ende des zweiten Weltkrieges nahm das Interesse an der Blutegeltherapie ab, nachdem sich zuerst Heparin und dann Marcumar zur Thrombose- und Embolieprophylaxe und -therapie durchsetzten. Doch immer wieder erschienen Berichte über Erfolge durch eine Behandlung mit Blutegeln. 1955 veröffentlichte Karl-Otto Kuppe das Buch „Der Blutegel in der ärztlichen Praxis“. Insgesamt aber war das Interesse an einer Therapie mit Blutegeln nur noch gering. Anfang der 80er Jahre wurde ein neues Anwendungsgebiet für die Blutegeltherapie entdeckt: die Mikrochirurgie (Foucher et al. 1981). In den folgenden Jahren bis heute wurden die Anfangserfolge der Blutegeltherapie auf dem Gebiet der Mikrochirurgie bestätigt. Bei venösen Stauungen von Re- oder Transplantaten werden Blutegel seitdem in immer größerem Umfang angewendet.

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